In diesem Moment…

In diesem Moment…

Jedes Jahr erneut finde ich es schwierig, den Jahreswechsel zu feiern. Als eher trockenhumorig veranlagte Sprotte fällt es mir per se schon schwer „auf Knopfdruck lustig“ zu sein und quasi gezielt lustig auf eine Veranstaltung zu gehen (im Spontanfeiern bin ich hingegen ganz groß ;0).
Feste Termine wie eben Silvester sind solche Veranstaltungen, die mir irgendwie auf den Zeiger gehen – es wird gefeiert, ob „man“ will oder nicht.

Dabei sind wir doch alle groß und mündig genug, um für uns zu entscheiden, wann und mit wem wir feiern mögen… Und auch wie fröhlich diese Zeit verbracht wird – es liegt bei uns.

Manchmal vergesse ich diese Mündigkeit und fühle mich unter Druck gesetzt…
Spätestens im November kommen doch die ersten Fragen:

„Und?! Was machst du Silvester?“

…und zu dem Zeitpunkt will ich das noch gar nicht beantworten – und doch: den richtigen Zeitpunkt, um eine Feier zu bekommen, wie sie mir liegt – den mag ich nicht verpassen…

Ist das nun ein „Trauer-Phänomen“?! Nee, ich fand Silvester schon immer ziemlich doof und anstrengend.
Allerdings hatte ich in Partnerschaft stets die Wahl: Feiern oder gemütlich zu Hause bleiben… Nie musste ich in Betracht ziehen, alleine zu bleiben, denn ich war ja

Teil eines „Wir“

Mit dem Tod des Partners (oder der Partnerin) endet dieses „Wir“ abrupt und neben dem Schmerz des Verlustes stellt sich die Frage nach einer neuen Rolle: wer bin ich, wenn ich nicht mehr „die Frau von…“ bin?!
Dann kommt hinzu, dass Parties wie Silvester dafür prädestiniert zu sein scheinen, sie als Paar zu verbringen.

Bist du auf eine Feier eingeladen? Fühlt es sich an, als seist du der einzige Gast, der alleine kommt? Ich kann das Gefühl so gut nachvollziehen…
Fritz kommt mit Frieda, Hein und Kuddel sind auch als Frischverliebte dabei, Hans und Rita das alte Ehepaar, Gundel und Gundula glucken wieder den ganzen Abend zusammen,… Pärchen, Pärchen, Pärchen,…
Früher, ja früher warst du Teil eines Paares unter vielen… Seufz…

Aaaber hast du „damals“ auch XY gesehen, die alleine dazu gekommen ist? Sah sie glücklich aus? Hat sie ganz selbstverständlich mitgefeiert? Oder war sie eher bedrückt und wirkte, als fühle sie sich unwohl…? Hast du dich zu ihr gestellt und dich mit ihr unterhalten, gelacht, ernst geredet,…?
Ist es in deinem Freundeskreis selbstverständlich, dass jeder so willkommen ist, wie er eben gerade ist?

Also: es liegt an deinem Umfeld, an deiner Wahrnehmung, es liegt an deiner Einstellung, deiner Laune, deiner Stimmung,… Vielleicht fühlt sich das unkontrollierbar an, aber das ist es keineswegs: du hast es in der Hand!

Wäge doch in Ruhe für dich ab: möchtest du feiern? Ja/nein? Wenn ja: in welcher Gesellschaft fühlst du dich aufgehoben/getragen? Oder magst du alleine für dich feiern? Wenn nein: was tut dir gut? Kannst du den Abend gut alleine verbringen oder brauchst du eine Art „Backup“, falls es dir doch schlecht geht? Das Wichtigste aus meiner Sicht ist eine gesunde Selbstfürsorge…

Ich habe das erste Silvester ohne Andreas alleine verbracht. Es gab etwas Leckeres zu essen, Fernsehen und dann früh zu Bett. Ich wollte diesen Zauber nicht mitfeiern. Ich habe es gehasst, dass die anderen fröhlich gefeiert haben – dabei spürte ich einfach nur bodenlosen Schmerz und Vermissen. Trotzdem war es für mich die richtige Entscheidung, mich zurück zu ziehen.
Ich möchte dir gerne ans Herz legen, dass du genauso für dich prüfst, was für dich richtig ist.

Bei allem Tamtam um den Jahreswechsel… Der 31.12. ist doch trotzdem einfach

Ein Tag wie jeder andere…

Das Zählen der Tage ist menschenerdacht, nicht per se gegeben… Und in anderen Kulturen wird ein anderer Tag gefeiert…

Ob nun heute oder an einem anderen Tag: Wenn dieser vergeht, beginnt ein neuer Tag, eine neue Möglichkeit!
Macht dir das neue Jahr Bammel? Es ist auch „nur“ ein Tag nach dem anderen aneinandergereiht. Aufstehen, durchhalten, überleben,… Und mit jedem neuen Tag darf neues Leben zu dir kommen – du schaffst das!

Ich verbringe diesen Abend in Lieblingsgesellschaft. Dort bin ich willkommen, wie ich bin: fröhlich, nachdenklich, traurig, enthusiastisch, lachend, weinend,…

Um Mitternacht bin ich voraussichtlich am Meer und proste dir von dort aus zu:

Lass das Licht in dir scheinen…

Leuchtend hell oder zart und zögerlich… Ich werde dich sehen und dir gute Wünsche schicken – kannst du es spüren?!

…in diesem Moment!

Ein Licht…

Ein Licht…

In vielen Zimmern brennen heute nicht nur zwei Kerzen – schließlich ist heute der zweite Advent – eine weitere steht ab 19 Uhr im Fenster und leuchtet in die Welt… Wie jedes Jahr am zweiten Sonntag im Dezember gedenken wir der Kinder, die zu früh verstorben sind…

Heute ist wieder Worldwide Candle Lighting Day – auf den habe ich bereits vor zwei Jahren aufmerksam gemacht:

*klick* Ein Licht geht um die Welt…

Ich stelle heute Abend erneut ein Licht ins Fenster… In Gedanken erweitere ich den Gedenktag nämlich immer ein wenig für mich: ist doch schließlich jeder schmerzlich vermisste Verstorbene Kind von jemandem…
Und erneut erfüllt mich Sehnsucht danach, über die Welt zu fliegen und dem Lichtermeer zu folgen…..

Kerzentiere

Gaaanz ganz besonders zauberschöne Grafiken von Melanie Garanin passen ganz wunderbar zu diesem Tag! Melanie hat nach dem Tod ihres Sohnes Nils angefangen, diese Kerzentiere zu zeichnen… Mittlerweile gibt es 365 davon – für jeden einzelnen Tag des Jahres eines.

Das Licht ist so wichtig, wenn man in dieser dunklen Traurigkeit ist. Denn man lebt ja und versucht, die Tage wieder hell zu machen.

(Melanie Garanin auf ihrer Website: https://melaniegaranin.com/kerzentiere/)

Ich finde, nicht nur das Kerzenleuchten soll heute um die Welt gehen, sondern auch Melanies Kerzentiere – daher mag ich ihren Blogbeitrag teilen:

*klick* zu Melanies Blog

Ihr findet dort einen Link, über den ihr bis Montag früh (9.12.2019) ihre Kerzentiere anschauen und auch herunterladen dürft. Ein zauberhaftes Geschenk von ihr, oder? Bitte beachtet vor dem Download die Regeln, die sie zur Verwendung vorgibt!

Ich konnte mich kaum entscheiden, welches mir am besten gefällt… Aber der Lemur rührt mein Herz am meisten:

Nummer 312: der Lemur
Kerzentiere von (c) Melanie Garanin – ein Ausdruck ihrer tiefen Trauer um Sohn Nils

Was für eine tolle Ausdrucksform für Trauer – traurig, (irr)witzig, rührend, wütend, lustig, verzweifelt… Wie viele Facetten hat die Trauer wohl… Unzählige, oder?

Leuchtet auch bei dir heute ein Licht? Wen vermisst du…?

Bild von Hans Braxmeier auf Pixabay

PS: diesen Blogbeitrag kann man ganz vielleicht als Werbung verstehen – die erfolgt aber unbeauftragt und unbezahlt aus Überzeugung ;0)

Fünf…

Fünf…

Mein Kalender sagt, es sei heute 5 Jahre her… Im Bootcamp habe ich irgendwie das Gefühl für Zeit vergessen – doch selbst wenn nicht: könnte ich wirklich begreifen, dass du vor 5 Jahren gestorben bist?! Ist das ein „schon so lange“ oder eher ein „erst“? Da ist wieder dieses „Gummiband“-Gefühl. Aber egal, ob das Gummiband bis kurz vor dem Zerreißen gespannt ist oder einfach locker herumwackelt… Du fehlst! Hier und heute. Schmerzhaft…

Jedoch: Es hat sich tatsächlich gewandelt… Wandeln dürfen… Dieses Vermissen-Gefühl.
Anfangs war da dieser unbändige, atemraubende Schmerz. Ein körperliches Reißen, eine alles mit sich reißende Trauerwelle… So stark und überwältigend, dass ich dachte, das könne nie vorüber gehen.
Auch heute läuft mir eine Träne (mindestens… naja, nee, eher mehrere…), während ich schreibe. Dein Tod lässt mich weiterhin fassungslos innehalten. Aber die Trauer ist heute ein wärmender Mantel, in den ich mich kuscheln kann. Ja, es tut weh, dass du nicht mehr lebst… Aber der Schmerz hat sich in ein Sehnen verwandelt. Sehnsucht nach dem, was war. Nach dir und dem, was du für mich warst…

„Mitten aus dem Leben gerissen“

Das passt nicht nur zu deinem Leben, das viel zu früh endete. Nein, es passt auch zu meinem Leben. Ich war 41 und fühlte mich angekommen bei dir und mit dir. Eigentlich dachte ich, unser gemeinsames Leben wäre mein Ruhepol – Abenteuer und Action und Drama findet um uns herum statt, aber es gibt immer diesen Menschen, in dessen Armen ich mich geborgen fühlen darf. Mein Fels in der Brandung… Beinahe von jetzt auf gleich fliegt mir mein Leben um die Ohren… Der Fels: explodiert… Auch ich: mitten aus dem Leben gerissen.

Solch ein Fels in der Brandung wie du für mich gewesen bist – so einer liegt nun als Markierung an deinem Grab im Ruheforst. Aus dem Bauch heraus habe ich damals entschieden, dass dieser große Findling besser passt als ein Baum. Die Parallele dazu ist mir aber erst heute aufgegangen…

Stellvertretend für dich strahlt er auf mich eine wohltuende Ruhe aus. Ein paar Blütenblätter habe ich dir heute mitgebracht… Eine Kerze brennt im Windlicht (das kommt natürlich wieder mit heim)… Gedanken, Sehnsucht und Erinnerungen wehen durch die restlichen Blätter an den Bäumen… Mein Bild von dir ist sehr präsent – dachte ich jedenfalls…

Erinnerungen…

Als ich neulich in der Küche eine Kiwi löffelte, hat sich meine Mutter sehr über mein „die-Kiwi-ist-verflixt-sauer“-Gesicht amüsiert. „Die hätte Andreas mal essen sollen. Was meinst du, wie er geschaut hätte?! Er mochte doch nichts Saures.“

Ich war total überrascht und auch ein wenig erschreckt, dass ich das nicht mehr weiß… Ich kann mich nicht daran erinnern… Vergesse ich nun doch immer mehr von dir? Verschwindest du nach und nach aus meiner Erinnerung?!
Aber dann geht mir auf: nein, ich habe lediglich andere Erinnerungen mit dem „wertvoll“-Stempel markiert und abgespeichert. Nun freue ich mich, dass mir diese zusätzlichen Erinnerungen quasi geschenkt werden… Und ich erkenne auch: du warst für jeden Menschen, der dir begegnet ist, ein wenig anders… Jede Begegnung war voller Facetten deiner Persönlichkeit – spannend, dass jede und jeder so ein anderes Bild von dir gewonnen hat.

Mein Bild von dir ist fest in meinem Herzen…

An der Steilküste mit Blick aufs Meer ist es, als wehe der Wind eine Erinnerung von dir herüber… Oder bist das du? Ich lehne mich an dich und schicke dir meine Gedanken:

„Schau mal… Schön hier!“

Silberwasser, Buchenlaub und Muscheln,… Ruhe im Innern… RuheForst am 17.11.2019 (pic: Anja Pawlowski)
Bilder…

Bilder…

Meine Handy-App zeigt mir neuerdings immer Bilder, die ich am gleichen Tag vor X Jahren geknipst habe… Bislang waren das immer Fotos vom letzten oder vorletzten Jahr… Schöne Erinnerungen irgendwie. Fotografiert habe ich ja meist das, was ich schön finde, was toll war – nicht das, was dumm gelaufen ist oder schmerzt.

Heute… Jaaa, heute war es irgendwie anders. Vor einem Jahr hatte ich Urlaub, das war schön… Vor zwei Jahren war auch ein schöner Tag… Herrlich!

Und vor 5 Jahren?!

Seufz… Noch tiefer seufz… Da war ein ganz besonderer Tag, den ich für immer in meinem Herzen trage. In 2014 war dieser Oktobertag wie im letzten Jahr tatsächlich auch noch sehr sommerlich. Die Sonne schien, es war warm und trotzdem wehte ein Hauch von Herbst durch die Luft.
Die Sonnenstrahlen haben mir das Gemüt erhellt. Das tat gut, denn die Tage vor diesem Datum waren einfach schlimm gruselig… Seit dem 10. Oktober war ja meine Welt eine andere und die Angst um Andreas mein täglicher Begleiter…
Somit hatte die Sonne eine besonders große Herausforderung, uns diesen Tag zu erhellen – aber sie schaffte es. Andreas war durch Medikation und Pflege einigermaßen „er selbst“ und war zu Hause. Um das schöne Wetter zu genießen, sind wir ans Meer gefahren.

Leckeres Essen mit Blick auf die Ostsee im Lieblingsrestaurant am Meer… Entspannte Gespräche, ruhiges Schweigen,… Die Angst hatte Pause.
Händchenhaltend an der Wasserkante laufen, sogar eine Weile Arm in Arm im Sand liegen,… Ich habe mir spontan die Hose hochgekrempelt und bin ein Stück im Meer gelaufen – die Füße im Wasser (ja, es war durchaus ziemlich kalt ;0) habe ich das Leben sehr stark gespürt und mich dem Himmel sehr nah gefühlt… Und das wohlgemerkt trotz dieser monströs schweren Zeit drumherum…

Ganz tief seufz…

Tjaaa,… Noch viel tiefer seufz… Das war dann auch der letzte gemeinsame leichte Tag. Es folgte eine Zeit, die enorm bis übermenschlich kraftzehrend war.

Einen Teil meiner Erinnerung an den 19.10.2014 teile ich auf diese Weise mit dir – es ist für mich die stärkste Metapher für „lebe den Moment“. Auch in der schwersten Zeit deines Lebens gibt es sicher solche Momente, die (wenn auch nur kurz) einen Lichtstrahl schicken und Kraft spenden. Ergreife sie, halte sie fest und nutze die Kraft, die sie bringen für dich.

Heute hat meine Trauer mir noch einmal „guten Tag“ gesagt… Mit einem „MOIN“ hat sie sich neben mich gesetzt und den Arm um mich gelegt… Ja, sie kam mir tatsächlich wie eine gute Freundin vor!
Natürlich, es schmerzt, dass diese Erinnerungen unwiederbringlich vorbei sind. Und doch: es ist so bereichernd, dass ich sie erleben durfte und auch im Herzen abrufbereit aufbewahrt habe…

Ich fühlte mich den ganzen Tag hin- und hergerissen zwischen Traurigkeit und Glück – und ich habe das einfach zugelassen und ausgehalten. Das tat gut. Hm, und irgendwann kam dann der Impuls, dass ich diesen Tag gerne mit dir teilen möchte. Somit kommt „Post“ von mir trotz Bootcamp-Auszeit… Auch schön, oder?

Meine Trauer und ich gehen heute Abend was Leckeres essen… Und machen es uns gemütlich… Schön, dass sie da ist

Geschenke…

Geschenke…

Du hast Geburtstag und ich bekomme die Geschenke!!!

Yay… Wie toll!!!
…oder?!

Ich habe nun bestimmt 10mal in den Kalender geschaut und nachgezählt… 5?!? 5 Jahre?!? Der 5. Geburtstag ohne dich??? Egal, wie oft ich zähle. Es bleibt dabei.
Und ich bin irgendwie fassungslos.

Fassungslos und traurig. Nicht zu Tode betrübt, aber traurig… Du fehlst…

Und wieder einmal war ich auf diese Traurigkeit nicht vorbereitet. Mit Fertigstellen des Buches habe ich noch so viele Tränen vergossen, dass ich wirklich dachte, nun sei auch erst einmal wieder gut.
Und überhaupt bin ich doch momentan so glücklich und lebendig – wie passt es da, dass ich dich vermisse?

Tja, ich habe aufgehört mit dem Versuchen, diese Gefühle zu verstehen. Sie sind halt da.

Zurück zu den Geschenken:

Ich fühle mich reich beschenkt, denn ich habe Menschen in meinem Leben, mit denen ist eine ganz fantastische Bandbreite an Gesprächen möglich.

Ohne deinen Tod hätte ich diese Menschen so nicht getroffen… Ich weiß ja nicht, wie es so ist, da, wo du jetzt bist – aber ich kann mir gut vorstellen, dass du mich um diese Begegnungen beneidest… beneiden würdest?! Hm, für solche Formulierungen gibt es im Deutschen wohl nicht die richtige Zeitform ;0)

Wenn ich so überlege, sind das Menschen, die den Tod direkt gespürt (im Sinne von erlebt oder gesehen) haben oder die ihn ganz direkt in ihrem Leben aushalten können. So viel Lebendigkeit ist möglich, wenn man den Tod als Zeichen der Endlichkeit akzeptiert.

Gerade auf der Messe „Leben und Tod“ habe ich viele solcher lebendigen Gespräche geführt: in der einen Minute fällt man sich vor Wiedersehensfreude um den Hals und lacht schallend über ein ulkiges Erlebnis – in der nächsten erzählt man auf einmal, wie man dem Tod begegnet ist.

Facebook-Verknüpfungen in die Realität holen, virtuelle Blog-Bekannte live und in Farbe treffen (liebe Grüße an die Waldträumerin!),… Ein Geschenk, was für herzliche Verbindungen aus diesen sehr oberflächlichen Medien entstehen!

Wertvoll, wenn man Menschen begegnet, mit denen man sehr kurzfristig und echt zwischen lustig und tief wechseln kann. Selten, deshalb besonders. Danke!

(Stefan Bitzer)

Das finde ich so schön und treffend formuliert, dass ich gefragt habe, ob ich es hier in meinen Blog kopieren darf (danke Stefan!).

Noch ein Geschenk 💙

Ja, und das sind teilweise wirklich krasse Schicksalsschläge, die man sich da berichtet. Manchmal auch Geschichten, bei denen mir der Gedanke kommt „ich könnte das nicht aushalten“ (obwohl ich ganz genau weiß, dass das so nicht stimmt – und: würde ich glauben, dass ich meine eigenen Erlebnisse (er)tragen könnte, wenn ich sie nicht bereits erlebt hätte?!?).
Ich kann gut verstehen, dass nicht jede oder jeder es aushalten kann, frei darüber zu sprechen, sondern sich lieber hinter einer Maske oder in sich selbst versteckt… Und auch nicht jeder oder jede kann nach solchen Erzählungen von ganz persönlichen Dramen lachen und Witze machen…
Umso mehr schätze ich es, wenn man mir mit der gleichen Offenheit und Ehrlichkeit begegnet, die ich für mich als selbstverständlich erachte…

Mir gibt das eine ganz besondere Freiheit und Leichtigkeit… Ohne Maske ist Fliegen möglich… Und dann schaffe ich es manchmal, einen übergeordneten Blick zu finden

Vom Mond aus betrachtet, spielt das Ganze gar keine so große Rolle.

Oder aber von über den Wolken… Danke, liebe Silke, für dieses Foto (wieder ein Geschenk), das ich hier so passend finde:

Freunde geben die nötige Leichtigkeit in Zeiten der Trauer
(c) Silke Kaiser

…und wenn ich schon da oben herumschwebe, fühlt es sich fast so an, als könne ich dir winken…

Danke, dass du in meinem Leben warst und dass durch dich mein Leben eine so besondere Wendung genommen hat…

Träne aus dem Augenwinkel wischen (schluchz, doch mehr als eine…) und dankbar lächeln…

Alles Liebe zum Geburtstag, Andreas ♥♥♥

Durchhänger

Durchhänger

Ich muss zugeben, dass ich heute nicht inspiriert schreibe, sondern mich ein wenig dazu dränge… Das ist eigentlich nicht meine Art.

Wieso ich dann überhaupt schreibe?

Mir geht es momentan nicht gut. Das kommt mal vor und geht auch wieder vorbei – aber heute schreibe ich einmal darüber, um dir zu zeigen, dass auch das sein darf:

Einfach mal traurig sein…

…und das dann auch öffentlich teilen? Ja! Denn ich finde es unnatürlich, wenn auf Social Media immer nur zu sehen ist, wer mit wem wo ach so viel Spaß hat und überschwappend glücklich ist. Das ist doch Augenwischerei, oder?

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Memento mori

Memento mori

November bedeutet: Totenhemd-Challenge-Zeit! Es ist wieder soweit: Petra Schuseil und Annegret Zander rufen mit ihrer jährlichen Blog-Challenge auf:

Memento mori – werdet kreativ!

Also eigentlich hatte ich was Kreatives vor – aber da der Zustelldienst meine Lieferung sonstwem geliefert hat (jedenfalls nicht mir), musste ich umdisponieren…

Ich möchte euch gerne an meinen Erinnerungen teilhaben lassen: heute vor 4 Jahren ist mein Liebster gestorben… Ein Brief in den Himmel ♥

…aaaber, ich schreibe nicht an Andreas – wie ich es erst vorhatte – ich schreibe an jemand anderen:


 

Lieber Tod,

ich schreibe dir – dabei hätte ich viel lieber meinen Andreas gerade heute, gerade JETZT neben mir… Vorhin hatte ich kurz das Gefühl, er sei da… Kann das sein? Oder hast du mir mit einem Hauch zeigen wollen, dass ich noch hier und am Leben bin?!

Ja, ich lebe… nur heute schmerzt dieses Leben unfassbar! Ich tauche durch Erinnerungen, die weh tun, denn ich vermisse ihn gerade sooo sehr. Warum hast du ihn mitgenommen?!

Er fehlt mir sooo…

Ich erinnere mich an diesen letzten Abend, bevor Andreas starb… Er war ganz unruhig, wollte unbedingt aufstehen, obwohl das zu dem Zeitpunkt nur noch mit meiner Hilfe und ganz viel Mut und Kraft zu machen war. Sein Körper war schon so weit eingeschränkt… Aber da ihm das so wichtig war (ich weiß gar nicht mehr, wie er mir das zu verstehen gab – sprechen war schließlich auch nicht mehr möglich?!), habe ich ihm diesen Wunsch erfüllt… Er wollte partout auf der Couch sitzen. Für Sohn und mich war „Voice of Germany“-Zeit – da wollte er gerne dabei sein und fernsehschauen. Ich weiß noch, wie anstrengend das für ihn war… Aber wir saßen tatsächlich ungefähr 5 Minuten alle drei einträchtig gemütlich auf der Couch… Aneinander gekuschelt fühlte sich das tatsächlich so herrlich vertraut und „normal“ an… Seufz…

Nach diesem innigen Moment war es, als hättest du bereits im Raum gestanden, um nach uns zu schauen… Vermutlich hast du dich doch erweichen lassen, als du uns so gemeinsam gesehen hast, oder? Ich hatte plötzlich das Gefühl, es gäbe einen kleinen Aufschub für uns. Und doch war da dieser kalte Schauer gefühlter Endlichkeit.

Danke! Danke für diesen schönen letzten gemeinsamen Moment… Danke für diese letzte Nacht, die noch so liebevoll und innig und ohne Ängste verlaufen durfte… Danke, dass du mir nicht übel genommen hast, dass ich dich nicht wahrhaben wollte… konnte…

Ach, was habe ich mit dir gerungen, wollte dich weder sehen noch akzeptieren… Du hast das ignoriert – hattest deine Vorgaben, Pläne oder irgendwelche Gründe… Du hast mir schließlich meinen Herzensmenschen einfach so gestohlen. Dabei hatten wir doch Pläne und Träume… Ich war so unerhört wütend auf dich!

Weißt du, ich hätte so sehr eine Erklärung gebraucht von dir: warum muss ein so junger Mensch sterben? Wo ist da der Sinn? Was hast du dir dabei gedacht???????

Ich habe bis heute keine Antwort auf diese Fragen… Mittlerweile habe ich das akzeptiert: es gibt einfach keine Antwort. Nicht jetzt. Aber glaube mir: ich hebe mir diese Frage auf! Eines Tages, da begegnen wir uns ja auch direkt und persönlich. Dann mach‘ dich darauf gefasst, dass ich dir einiges um die Ohren hauen werde!
…vielleicht aber werde ich auch dann bereits verstanden haben… Wer weiß.

Was ich nun zu verstehen glaube ist ein großes Geschenk, dass du mir ganz nebenbei dagelassen hast (war das Absicht?):

Ich soll end-lich leben!

Mit Haut und Haaren, mit Liebe aus vollem Herzen, Glück aus tiefster Seele, unaushaltbar scheinendem Schmerz, schallendem Lachen, tränengerührten Gesprächen, erquickender Musik,… Die ganz große Achterbahn mit drölfzig Loopings! Her mit dem Leben!

…und das tue ich! Neulich gerade habe ich mich darüber beschwert, dass diese Achterbahnfahrt so immens anstrengend ist – aber, weißt du was? Sie ist soooooo großartig, denn sie lässt mich das Leben mit voller Wucht und in so großer Bandbreite spüren, dass es diesen Kraftakt sowas von wert ist!

Tschakkaaaaa!

Pläne, die mache ich nur noch kurzfristig in absehbarer Zeit – und zwar so, dass ich es ganz unproblematisch finde, wenn sie nicht umgesetzt werden können. Träume… ja, die gibt es. Aber ich träume nicht lange vor mich hin: meistens braucht es nur einen Ruck, um sie Wirklichkeit werden zu lassen… Und wenn nicht, sind sie auch einfach nicht so wichtig.
Ich fühle mich noch weit davon entfernt, dass ich so lebe, als könnte ich jeden Moment sterben und das wäre okay. NEIN! ICH WILL NOCH NICHT! Ich möchte bitte noch hier bleiben!

Aber ich sehe dich jetzt, lieber Tod! Ich verstecke mich nicht, sondern ich nutze die Zeit, die ich habe.

…und wenn du dann eines Tages zu mir kommst, werde ich bereit sein. Ich glaube, wir werden uns wie Freunde umarmen und ich werde mich freuen, mit dir gehen zu dürfen. Das wird nämlich eine große Ehre sein und die Ängste, die wir Menschen uns hier zusammenreimen, sind einfach komplett irrsinnig…

Bis dahin sei aber so gut und gib mir Zeit, ja? Ich möchte mein end-liches Leben genießen!!!

Deine Anja

PS: …untersteh‘ dich und hole meinen Sohn vor mir ab! Dann bist du fällig!

PPS: …denk‘ dran, ich erwarte eine Antwort auf meine Fragen!


 

Ein herrlicher Erinnerungsnachmittag im Ruheforst… Es sind viele Tränen geflossen, denn ich kann es kaum fassen, dass es 4 Jahre her ist, dass du sterben musstest… Ich fühlte mich dir ganz nah… Und gleichzeitig warst du so weit weg…

Da war dieser Raubvogel, der eigentlich auf Beutezug war und dann auf einmal zu uns flog… Magisches Licht im Wald… Wind von Ost, der das Meer aufwühlt… Laubrascheln…

Wir haben dir einen „waldgerechten“ Altar aufgebaut. Rosenblätter, eine Muschel vom Strand, ein Brief, ein Herz aus Vogelfutter… eine Kerze, damit du uns leuchten sehen kannst… Das Windlicht haben wir wieder mit heim genommen, denn das darf ja im Wald nicht stehen bleiben…

…wish you were here!

Fenster…

Fenster…

Sehr seltsam… Seit einiger Zeit schlafe ich wieder bei geöffnetem Fenster… Ja, ich weiß – bei dieser Hitze momentan ist das wohl unausweichlich – aber auch vorher schon ist es mir aufgefallen.

Warum das seltsam ist? Seit Andreas‘ Tod habe ich die Fenster nachts geschlossen gehalten. Das Leben draußen war mir zu laut, zu unruhig, zu aufmerksamkeitsheischend, zu… Zu halt… Ich konnte es nicht aushalten – war der Schlaf doch so schwer zu finden, den wollte ich nicht auch noch von außen gestört wissen. Zu kostbar jede Minute, die der schwer mit dem Leben kämpfende Körper endlich einmal die wild in tiefe Tiefen kreisenden Gedanken besiegt und zur Ruhe gekommen ist.

Nun scheint dieser Kampf irgendwie ausgekämpft und ich wieder offener für eine Öffnung nach Außen zu sein…?

Mir schießt dazu immer wieder dieser Spruch bzw. dieser Brauch durch den Kopf, der zum Tragen kommt, wenn jemand stirbt:

Öffne das Fenster, damit die Seele davonfliegen kann…

Als Andreas starb, habe ich das ganz automatisch getan – ohne auch nur im Mindesten darüber nachzudenken… Einzig die Bestätigung der Begleiterin vom Palliativdienst im Sinne von „ja, das ist gut, dass du das Fenster öffnest, dann kann seine Seele davonfliegen“ hat meine Aufmerksamkeit darauf gelenkt.

Braucht die Seele ein Fenster?

Aber: braucht die Seele tatsächlich ein Fenster, um davonzufliegen? Geht das nicht „einfach so“? Warum muss das Fenster offen sein?
Vielleicht ist es ja auch eine Art Beschäftigungstherapie für die Begleitenden. Wenn man die ganze Zeit im „Helfen“-Modus gefahren ist und der Mensch, den man begleitet, stirbt, dann gibt es von jetzt auf gleich nichts mehr zu tun. Dann kann man wenigstens das Fenster öffnen und einmal tief durchatmen ;0)

Denn die Seele oder was immer bleiben mag, wenn jemand stirbt – und ich bin fest davon überzeugt, dass etwas bleibt – ich denke, dass es noch eine Weile ganz dicht um uns bleibt. Nicht im Körper, der bis zum Tod belebt wurde, aber doch irgendwie präsent.

Noch wichtiger als das Fensteröffnen war für mich persönlich das bewusste Abschiednehmen… Das Begreifen, dass er nun wirklich tot ist.
Dazu fand ich die Begleiterin des Palliativdienstes einfach bereichernd: sie war da, hat mich ganz fest in den Arm genommen (zwischen der mir bis dahin gänzlich unbekannten Frau und mir war angesichts des Todes eine spontane Nähe – sehr schön!) und mich auch ermutigt, mich mit dem toten Körper zu befassen – ich danke dir von Herzen, du Liebe, dass du so sehr und so besonders für mich da warst ♥

Diese letzten Kontakte, sie waren und sind so unsagbar wertvoll für mich. Ihn zu berühren, im wahrsten Sinne „begreifen“ zu können, dass er nun tot ist – ich habe keine Ahnung, wie ich das ohne diesen Kontakt hätte verstehen oder gar akzeptieren können…

Diesen Menschen, den man lebendig so oft berührt, umarmt, gestreichelt hat – den man von oben bis unten und von hinten und von vorne in und auswendig zu glauben kennt… Mit dem Tod wird er auf einmal unheimlich (mir jedenfalls). Haben wir das in unserer Gesellschaft so gelernt? Ich habe jedenfalls zuvor nie einen Menschen beim Sterben begleitet und Andreas war auch der erste Tote, den ich erlebt habe.

Bis dahin habe ich mich immer an dem in unserer Gesellschaft so verbreiteten Ausspruch festgehalten „behalte ihn/sie so in Erinnerung, wie du ihn/sie gekannt hast“.
Ja, klar, es ist leichter, den Menschen so im Kopf zu behalten, wie er erfüllt von blühendem Leben durch die Welt marschiert ist – aber ist das tatsächlich leichter?!? Wie bitte schafft der Verstand es dann, nachzuvollziehen, weshalb dieser Mensch auf einmal in einer Holzkiste oder einem vasenähnlichen Gefäß verschwunden ist? Da fehlt doch etwas?

Berührungsschreck…?

Nun war da diese Frau, die mich fragte, ob ich Andreas mit ihr gemeinsam waschen würde?

What?!? Ich soll einen Toten anfassen?!? Neeeeeein!!!

Doch! Hab ich! Und es tat so gut! Es hatte überhaupt gar nichts Unheimliches, sondern war ein Teil des Begreifens, dass er nun nicht mehr lebt – dass das, was wir da waschen, nur seine Hülle ist.
Mir dann zu überlegen, was er wohl am liebsten getragen hätte im Sarg – tieftraurig und doch so begreifend. Schließlich wusste ich genau, was er am liebsten trug. Das sollte er nun auch anziehen. Ganz praktisch etwas zu tun – die Kleidungsstücke zusammensuchen – hat mich in der Realität gehalten, hat mir dabei geholfen, nicht umzufallen.

Ich bin auch sehr dankbar, dass ich die Gelegenheit genutzt habe, ihn noch ein wenig zu Hause zu behalten… Der Hausarzt kam, hat die offiziellen Untersuchungen durchgeführt (da war ich nicht dabei – ich glaube, das ist auch etwas, das man sich ersparen sollte…?), den Totenschein ausgefüllt – die automatische Folgerung wäre eigentlich, den Toten vom Bestatter abholen zu lassen.
Ich bin von dem von mir gewählten Bestatter in keinster Weise begeistert – schön war aber der Hinweis, dass der Körper nicht sofort abgeholt werden muss, sondern er noch eine Weile bleiben kann, wenn wir das möchten. Sie seien 24h erreichbar und kämen jederzeit, wenn sie den Verstorbenen abholen sollen.*

Nach und nach die Veränderungen seiner Hülle zu beobachten war direkt ein bisschen spannend – mein Sohn war nach den ersten Berührungsängsten ganz fasziniert und hat bei jeder Gelegenheit Bericht erstattet.
Für uns war es so leichter, Andreas‘ Körper abholen zu lassen. Ja, es hat mich vor Schmerz zerrissen, als die Männer vom Bestattungsinstitut ihn abgeholt haben – aber trotz alledem war es okay, denn sie haben mir nichts nehmen können, das nicht schon fort gewesen wäre…

Puh… Auch nach all‘ der vergangenen Zeit ist es sehr intensiv für mich, hierüber zu schreiben…

Ich bin aber dankbar und in Frieden mit diesem Abschied.

Woher aber kam nun dieses „Phänomen“, dass ich seit diesem Abschied nicht mehr bei geöffnetem Fenster schlafen konnte? Wollte ich all seine Energie im Haus halten? Die Luft, die er geatmet hat, weiter atmen? Nein, das passt nicht, denn frische Luft tat mir total gut… Ich denke, es war eher diese Überempfindlichkeit gegenüber allen Einflüssen von außen. Diese gefühlte Schutzlosigkeit gegenüber dem Leben… und dem Tod…
Da war Ruhe extrem wichtig.

Nun darf das Fenster also wieder geöffnet bleiben, während ich schlafe…
Ist das ein weiterer Abschied? Nein – einfach nur schön… Es ist einfach so passiert… Wandel durfte stattfinden…

Ich stelle mich ans Fenster und atme tief ein… und aus… Hach, Leben!

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Foto: Pixabay

* Wusstest du, dass Verstorbene eine Weile zu Hause bleiben dürfen, bevor sie vom Bestattungsinstitut abgeholt werden? Bis zu 36h sind offiziell gestattet – es ist aber meines Wissens noch niemand verhaftet worden, der diese Frist überschritten hat und es gibt prominente Beispiele, die von einer längeren Aufbahrung berichten.

Frage beim Bestatter nach, wenn du unsicher bist – wenn du sicher bist, was du tun möchtest, dann frage nicht (wer viel fragt,… Und so ;0)

Es gibt zu dem Thema eine schöne Folge von „Talk about Tod“ vom Bestattungsinstitut Pütz-Roth. Hör doch mal rein…

Und: wusstest du, dass jemand, der im Krankenhaus verstorben ist, auch noch einmal nach Hause überführt und aufgebahrt werden darf?

Dieses Aufbahren ist sicher nicht jedermanns Ding – ich habe mich früher richtiggehend davor gegruselt und mich bei jeder Gelegenheit davor gedrückt. Heute empfinde ich es als seeeeehr wertvoll, auf diesem Wege Abschied zu nehmen. Und ich finde es wichtig, dass wir mehr und mehr solche Abschiede als natürlich akzeptieren (egal, ob wir es nun selbst tun würden oder nicht).

Wie immer: lass dich von Herz und Bauch leiten… ♥

Chapeau!

Chapeau!

Heute… Heute mache ich mal etwas ganz Seltsames: ich ziehe den Hut vor mir…

Chapeau, meine Liebe! Du bist einfach toll ♥

Huch? Wer mich kennt, weiß, dass das so gar nicht meine Art ist… Ich bin aufgewachsen mit dem Glaubenssatz „Eigenlob stinkt“ und dem quasi omnipräsenten „ach, naja, sooo toll war das jetzt auch nicht.“

Woher kommt also dieser „Ausbruch“?
Ich habe gestern mein E-Mail-Postfach aufgeräumt und wollte „nur mal ganz kurz“ noch nach einer E-Mail-Adresse schauen… Schwupps… Mit dem Hauch einer Sekunde saß ich in der Vergangenheit…

Dieser Ordner mit den E-Mails, die ich geschrieben und erhalten habe, als die Diagnose kam und in den 5 1/2 Wochen danach… als ich verzweifelt war… Ich habe sogar geschrieben, was für eine Scheiß-Angst (sorry, aber dafür gibt es einfach kein „korrektes“ Wort, das diese Wucht ausdrückt) ich habe angesichts der übermächtigen Verantwortung, die da auf mich zu rollte…

In mir tobt und tost es, während ich versuche, diese Zeilen zu formulieren… Es ist kein Schmerz im Jetzt, es ist der Schmerz, den ich damals fühlte… Ich erinnere mich…

Wenn ich könnte – ich würde zurückreisen zu dieser Zeit… Ich würde mich neben mich setzen und mich in den Arm nehmen. Mich selbst festhalten und mit mir aushalten, was da alles auf mich einstürzt…

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Quelle: Pixabay

Das war alles einfach übermenschlich groß und eigentlich nicht aushaltbar.
Ist es vielleicht sogar so passiert? Habe ich als Zukunfts-Anja neben der leidenden und zitternden Anja-2014 gesessen und ihr beigestanden? Wie sonst hätte ich das alles überleben können?!?

Denn… Ich bin da mitten durch. Ich habe mich von meiner Angst nicht einschüchtern lassen… Ich habe mir in der Situation bereits selbst geholfen, indem ich meine Sorgen aufgeschrieben habe…
Spannend finde ich, dass ich mich an das Meiste davon gar nicht mehr erinnern kann…
Ich habe in einer Klarheit kommuniziert, die ein wenig schockierend und doch gerade dadurch so passend war… Und durch diese Klarheit habe ich auch genau die Rückmeldung bekommen, die ich in dem Moment gebraucht habe. Wer schockiert war, hat halt nicht geantwortet – wer das aushalten konnte, hat mir zurückgeschrieben, was mir in der Situation gut tat.
Ich habe darum gebeten, dass man mir nur Ermutigendes schreibt. Mitleid und Schwere hätte ich partout nicht aushalten können – war doch mein ganzes Leben zu der Zeit schon leidig und schwer…

Die Nachrichten, die ich daraufhin erhielt, waren daher motivierend, mitfühlend und haben mich durch die Zeit getragen… Ich danke an dieser Stelle allen, die mir mit ihren Nachrichten in dieser Zeit zur Seite gestanden haben.

Ich habe keinen Schimmer, ob ich mich bereits bedankt habe. Wo sich die Gelegenheit bot, habe ich es sicher getan (bin ja schließlich wohlerzogen ;0)… Dennoch ist es mir wichtig, diesen Dank noch einmal explizit auszudrücken – er kommt aus tiefstem Herzen:

…einfach: DANKE!!!

Was mir auch am Herzen liegt: ich möchte mir selbst danken!!! Ich bin beeindruckt und gerührt, was ich da alles gestemmt habe. Das habe ich unfassbar toll geschafft!

Ich habe in dieser unermesslich niederschmetternden Zeit in meinem Leben gut für mich gesorgt. Das was sooo groß!

Steige ich so richtig tief ein in diese schmerzhafte Phase… Wie unglaublich und unfassbar ist es bitte, dass ich heute lachend und hüpfend durchs Leben gehe? Wie ist das möglich?

„There is within each of us a potential for goodness beyond our imaginings.“

(Elisabeth Kübler-Ross)

In mir liegt eine fast magische Kraft, die ich heute feiern möchte. Mit dir gemeinsam am liebsten – machst du mit? Auch du hast diese Kraft in dir – sie steht dir zur Verfügung, wenn du sie brauchst. Es braucht Vertrauen… Oder eben einfach pure Verzweiflung, die das Nachdenken ausschaltet und dieses Urvertrauen zulassen kann…

Hüpfen, tanzen, lachen,… Nie hätte ich gedacht, dass solche Leichtigkeit zurückkehren kann. Dass ich Glück verspüren kann in unterschiedlichsten Abstufungen und Intensitäten. Dass ich auch die dunklen Tage und Wochen durchschreiten kann, weil ich weiß, dass das Licht am Ende dieser Zeit auf mich wartet und mich wieder strahlen lässt…

Ich bin so dermaßen froh und dankbar, dass ich es tatsächlich geschafft habe, diesen Kraftakt zu stemmen – ich war ja aber auch zu keiner Zeit wirklich einsam: Neben so vielen wichtigen Herzens- und Wegbegleitern:

…ich war stets an meiner Seite… ♥

 

 

Wenn zählen nicht hilft…

Wenn zählen nicht hilft…

Maaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaannnnnnn!!! Grrr… Ich bin so wütend… Ich könnt’…

…ja, was denn?!?

Eigentlich wollte ich heute von meiner Wut schreiben – da gibt’s so Tage, da könnt‘ ich boxen… Brüllen… Mit dem Fuß aufstampfen… Heute ist so einer…

Tja, und dann habe ich ein passendes Foto zu diesem Beitrag gesucht… Und bei den Suchergebnissen hab ich erst die Stirn gerunzelt… Dann zuckte ein Mundwinkel… Und schließlich saß ich hier und habe schallend gelacht. Ich finde, dass Menschen unfassbar witzig aussehen, wenn sie wütend sind :)

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Quelle: Pixabay

Es gibt aber auch Zeiten, da ist so ein Wutgefühl nicht so schnell verschwunden. Ich weiß gar nicht so genau, ob die Wut erst so richtig präsent in Verbindung mit meiner Trauer wurde?! Spüre ich sie so stark, weil irgendwie alle Gefühle so potenziert auftreten?!? Oder macht Trauer einfach ab und an irre wütend?

Wie auch immer – ich habe so meine Probleme mit ihr… dieser Wut… Die passt nämlich nicht zu alten Glaubenssätzen, die ich gut verinnerlicht habe: so ein „sei hübsch brav“ oder „benimm dich!“… Da kann man nicht einfach so herumbrüllen, oder?!?

DOCH!

Ich kann das aber nur zu Hause am Meer oder im Wald – wenn keiner guckt… Manchmal würde ich mich gerne freier fühlen und meine Wut einfach raus lassen.
Jedenfalls merke ich, dass es mir so ohne Gebrüll nicht gut geht… Da brodelt es richtig in mir. Wut kocht… Und irgendwann fliegt der Deckel hoch. Und das meist in völlig unangemessenem Rahmen.

Ich kenne Trauernde, die lassen so richtig die Sau raus. Wenn nämlich die Wut so irre groß ist, dass man es nicht mehr aushalten kann – dann muss ein Ventil her. Denn sonst könnte sich die Wut gegen einen selbst richten… Ja, und wie alle unterdrückten Gefühle auch irgendwann krank machen.

Austoben…

Hilfreich ist es, wenn man dann eine Möglichkeit findet, wo man sich austoben kann ohne anderen zu schaden… Zum Beispiel:

  • Kissen boxen: einfach mal völlig hemmungslos das Kopf- oder Sofakissen vermöbeln. *zack* druff… Boxen, hineinbrüllen, an die Wand werfen… Da kann man herrlich Energie ablassen – und niemand kommt zu Schaden
  • Gartenschlauch: als Steigerung kann man auch ein Schlauchstück nehmen – die Tätigkeit bleibt die selbe: Draufhauen!
  • Crash-Room: die gibt’s in immer mehr Großstädten… Hier kann man sich einen möblierten Raum mieten und den nach Herzenslust mit Baseball-Schläger oder einem Hammer zerlegen.
  • Rasenmähen in erhöhtem Tempo: einfach super! Das Adrenalin wird abgebaut und hinterher ist auch noch der Garten schön ;0)
  • Joggen gehen, Kick-Boxen, Inlinerfahren,… Körperliche Aktivität baut Adrenalin ab – geh‘ raus und tob‘ dich dort aus!

Eine Übung hat meine Trauerbegleiterin mit mir gemacht. Kennst du noch von früher aus der Kindheit die nein-doch-Diskussionen? So ähnlich funktioniert das auch:

Man steht sich zu zweit gegenüber, hält sich an beiden Händen, schaut sich in die Augen… Einer von beiden beginnt mit einem lauten, wütenden „NEIN!!!“, der andere brüllt zurück „DOCH!!!“ oder „JA!!!“ so energisch und laut wie es geht… Das dann fröhlich abwechseln, immer hin und her…
Ogottogott, war das peinlich… Und meine Nachbarn haben sehr sicher gedacht, ich bin total bekloppt… Aber irgendwie war es auch befreiend – und letztlich sogar lustig *lach*

Tja, und was ich gerade merke: darüber schreiben hilft mir… Je länger ich hier tippe, umso friedfertiger werde ich.

Also: finde deinen Ausdrucksweg, um deine Wut rauszulassen. Sie darf da sein, sie darf explodieren… Und dann darf sie auch wieder gehen… still und friedlich…

…oder mit einem enormen Türenknallen!